Vier Wochen unbezahlten Urlaub habe ich zwischen zwei Stellen – Zeit, um etwas ganz anderes zu tun. Manfred muss leider arbeiten und kann mich nicht begleiten. Auf workaway.info durchforste ich die Welt nach genau dem, das zu mir und meinen Bedürfnissen passt: anders (auch als Afrika, davon bekomme ich hoffentlich bald genug), sicher, ohne Mietauto erlebbar, grün, Meer, Urwald, viele Tiere, Direktflug. Da ich vor Kurzem meinen Jungen von Costa Rica vorgeschwärmt habe, entscheide ich mich für dieses Paradies und erhalte auf meine fünf Anfragemails drei Antworten – zwei negative und eine positive. Es soll ein Ausprobieren für die Bushbaby-Zeit sein, denn die Möglichkeit, zwischendurch auch irgendwo stationär zu sein und direkt von Bewohnenden über Land und Leute etwas zu lernen, könnte eine Bereicherung und gute Ergänzung für die Zeit unterwegs sein.
Mein Silvester dauert sieben Stunden länger, damit hat das Jahr 2019, das wir in Costa Rica gestartet haben, wieder seine richtige Länge.
Ich verbringe eine Nacht in Alajuela nahe dem Flughafen, steige dort morgens in einen kleinen Hüpfer, der mich über das Valle Central und die endlosen Wälder, unzählige Täler, Bäche und Flüsse auf die Halbinsel Osa, tief im Südwesten nahe der Grenze zu Panama bringt. Diese Gegend verfügt über eine besonders hohe Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren. In der Kleinstadt Puerto Jiménez gewöhne ich mich an das Klima, ruhe mich aus und tauche in die Natur zwischen Pazifik, Mangroven und Urwald ein. Ich starte mit der Makrofotografie, die schönsten Fotos findet man unter Instagram oder facebook/mayavondach.
Das Ziel, Bolita Rainforest Hostel, erreiche ich mit dem Kleinbus, der mich ins Goldgräberdorf «Dos Brazos de Rio Tigre» bringt. Es ist Trockenzeit im Regenwald, dennoch heisst mich ein heftiger tropischer Regenguss willkommen. Im «office» bei Valerie, lasse ich etwas Wäsche zurück und mache mich auf die anstrengende halbstündige Wanderung zum Hostel, welches auf dem Rücken der zweiten Hügelkette liegt. Der Weg führt durch den Fluss, hügelauf und ab, durch Bächlein und über Wurzeln von riesigen Bäumen. Meine Rucksäcke fühlen sich tonnenschwer an und der Schweiss rinnt in Strömen. Schliesslich aber erreiche ich Bolita und werde mit einem Glas kalten Bergwassers von Ron, dem Besitzer, empfangen.
Die Herberge besteht aus einem Küchen- und Aufenthaltsraum mit Aussichtsplattform, einem Sanitärtrakt mit vier Toiletten und fünf Duschen, einem Schlafgebäude mit sechs Kabinen und einem überdachten aber wandlosen Kajütenbettentrakt. Nur die Struktur und die Moskitonetze bieten hier Privatsphäre – ungewohnt aber durchaus genügend, zumindest für meine bescheidenen Ansprüche. Hier quartiere ich mich für die nächsten drei Wochen ein und fühle mich wohl. Am Morgen wecken mich die Brüllaffen, rundherum schwirren Kolibris, der wunderschöne Motmot motzt leise vor sich hin und der farbenprächtige Trogon erzählt seinem Weibchen, das in der Nesthöhle vor dem Haus wohl auf Eiern sitzt, Geschichten und bringt ihr ab und zu einen Leckerbissen.
Vier Stunden Arbeit an fünf Tagen werden gefordert. Gäste und andere Volontäre kommen und gehen (oder kommen gar nicht). Zu meiner Überraschung buchen sehr viele Gäste die Kajütenbetten, sei dies aus Abenteuerlust oder Spargründen.
Ron und Val, die das 61 ha-Grundstück als verliebtes junges Paar vor 19 Jahren, nach dem sie ihre Zelte in Kanada abgebrochen haben, erworben haben, wollten hier ein grosses Hotel «Bola» mit vielen Wanderwegen erstellen. Nach zwei Jahren trennten sie sich als Paar, als Geschäftspartner buken sie dann kleinere Brötchen: «Bolita», das über 15 km Wanderweg verfügt, die nächsten zwei km werden nächstens eröffnet. Es führt keine Strasse hierhin, alles wird hinauf geschleppt, die Gäste bringen ihr Essen grundsätzlich selbst mit, einige Grundnahrungsmittel können auch gekauft werden. Ein bisschen wie auf einer Alp.
Die Arbeit ist vielfältig. Mach es einfach «wie wenn es deine eigene Herberge wäre», erklärt Ron. Willkommens- und Wohlfühlkultur, Sauberkeit und Sicherheit sind gefragt. Der ständige Kampf mit dem Putzlumpen gegen Ameisen in der offenen Küche mit all den gelagerten Nahrungsmitteln (es gibt keinen Kühlschrank) und Schmutz in den Freiluft-Toiletten und Duschen, sowie das Rechen der Wanderwege bis zu Blasen an den Händen gehören genau wie das Beziehen von Betten oder Reparieren von Hängematten dazu. In dieser Umgebung macht selbst das Putzen von Toiletten und Duschen Spass, kann man doch dabei über die halbhohen Planenwände die riesigen roten Aras, grüne Sittiche, Kolibris und den ständig wechselnden Himmel betrachten. Ein Solarpanel ermöglicht es, am Abend ein wenig Licht zu machen und ein Mobiltelefon zu betreiben, das durch einen Hotspot Internetgebrauch ermöglicht. Ein Luxus, der sehr geschätzt wird, für die einen für das Suchen und Buchen der nächsten Unterkünfte, für die anderen – wie mich- für das Telefon nach Hause. Irgendwie unglaublich – ich sitze buchstäblich mitten im tiefsten Dschungel und telefoniere täglich mit Manfred.
Es herrscht Sprachengewirr – vor allem Französisch, Deutsch und Englisch, kaum Spanisch, sind für die Erklärung der Wanderwege und Hostelregeln gefragt. Beispielsweise haben wir hier von 21.00-6.00 Uhr Ruhezeit, was eigentlich grösstenteils gut klappt und gefällt.
Es macht mir sehr viel Spass, die Gäste zu betreuen. Wer hierhin kommt gehört zu den Naturliebhabern und Abenteurern, oft Langzeitreisende mit bescheidenen Erwartungen und einem noch bescheideneren Budget. So ergeben sich spannende Begegnungen, beispielsweise zu einer französischen Familie mit einem Jungen (6) und einem Mädchen (4), die für ein halbes Jahr ohne Auto unterwegs sind, teilweise auch als workawayer. Das beeindruckt mich sehr.
Die Freizeit, die auch durch die Abwesenheit von Ron - er muss sein Auto reparieren lassen und das Visum in Panama erneuern - etwas knapp bemessen ist, woran ich mit meinem Pflichtbewusstsein auch selbst Schuld trage, verbringe ich auf Wanderungen oder Insektensuche und -fotografie oder mit Lesen in der Hängematte. Es ist ein Sinnesabenteuer: so viel zu sehen, hören, riechen und schmecken! Obwohl das uns angebotene Menu aus Reis und Bohnen und Bohnen und Reis besteht. Im kleinen Laden im Dorf gibt es wenig zu kaufen, schon gar nicht frische Früchte oder Gemüse, ausser Zwiebeln, für deren Nachschubbeschaffung ich zweimal einen fast zweistündigen Weg unter die Füsse nehme.
Ich unterbreche meine Arbeit mit einem verlängerten Wochenende am Meer und geniesse dies in Canaza, einem kleinen Dorf ganz in der Nähe, in einem einfachen Häuschen, das mir empfohlen wurde. Die kleine Farm hier gehört einer kanadischen Familie mit drei Kindern, die hier jeweils die Wintermonate verbringt. Ich kann bei ihnen essen und geniesse das Grundstück mit Mandarinen- und Grapefruitgarten, Fluss – den hier wohnhaften Otter entdecke ich leider nicht – einem Teich und vielen Wegen durch den Tropenwald. Natürlich mache ich auch Spaziergänge entlang dem nahen, menschenleeren Strand.
Mein Leben in Costa Rica findet ausschliesslich im Freien statt, was mir sehr entspricht und gefällt. Ich finde workaway eine geniale Gelegenheit, ein Land auf etwas andere Weise kennen zu lernen und gerade als Alleinreisende irgendwo ein wenig Heimat zu haben und dazu zu gehören. Meine meist sehr jungen Kolleginnen – Ron erzählt mir, dass mehr als 80% der Bewerbungen von Frauen kommen – sind mir nicht sehr gute Gesellschaft, da sie sehr mit sich selbst beschäftigt sind und ihnen das «worken» weniger wichtig scheint als das «away», das es zu planen, organisieren und umzusetzen gilt. Angemeldete kommen nicht, man geht früher, viele langweilen sich hier wohl auch ein wenig, insbesondere die beiden Mädchen, die vorher in einem lebendigen Surfcamp gearbeitet haben. Mir selber gefallen die Ruhe und Abgeschiedenheit hier. Die Umgebung ist eine einzige Dokumentation der Natur, es gibt immer etwas zu sehen, Regenschauer wechseln sich mit sich hebenden Schleiern von Nebelschwaden und brennender Sonne und die Wanderungen zum Ausblickspunkt, den Wasserfällen und durch den Fluss, in welchem die Goldgräber auch heute noch ihrer täglichen Arbeit nachgehen, sind sehr spannend – auch wenn sich Tapir, Ameisenbär und andere Säugetiere nicht sehen lassen, Schlangen selten sind und die Vögel oft nur zu hören oder im Schnellflug zu entdecken sind. Einzelne Begegnungen zählen umso mehr.
Meine letzten Tage verbringe ich in Puerto Jiménez, mache Exkursionen (die Schildkrötentour wird infolge hoher Wellen zurückbezahlt), eine Insektentour im Garten, Kanu-, Velotour) und geniesse meine Freiheit – gemischt mit dem Gefühl des Alleinseins. Mein Seelenmensch, Manfred, fehlt mir sehr zu meinem Glück!
Währenddessen tut sich bei Extremfahrzeuge in Schwenningen einiges und unser Bushbaby entwickelt sich prächtig: der Boden unseres Fahrzeugs wird für die zusätzlichen Tanks vorbereitet, die Kabine erhält Aussenklappen für das Verstauen von Tisch, Kocher und anderem Outdoorgerät. Die Vorfreude steigt…
Für die Absprachen bezüglich Abgabetermin und weitere Klärungen fahren wir im Februar noch einmal nach Schwenningen.
Hallo Maya, wieder einmal ein packender Bericht! Es ist, als ob wir dabei waren. Wir können es kaum erwarten,bis „Bushbaby“ erwachsen wird. Wir freuen uns! 👍🏻👏🏻